Sommer-Herbst 1873 29 [1-100]
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Grillparzer eifert “gegen den in neuerer Zeit prätendirten Nutzen der Litterargeschichte selbst für die praktische weitere Fortbildung der Litteraturzweige und zählt sie vielmehr jenen mitunter gefährlichen Bestrebungen zu, die, indess sie einerseits die Masse der oberflächlichen Kenntnisse, will sagen: Notizen vermehren, auf der anderen Seite den Gesichtskreis in’s Unermessliche erweitern, so dass endlich jene innere Concentration immer schwieriger wird, ohne die eine That oder ein Werk nicht möglich wird. Im Mangel dieser Concentration liegt aber der Fluch unserer Zeit.”
Wir empfinden mit Abstraction, sagt Grillparzer. Wir wissen kaum mehr, wie sich die Empfindung bei unsern Zeitgenossen äussert; wir lassen sie Sprünge machen, wie man sie heut zu Tage nicht mehr macht. Shakespeare hat uns Neueren alle verdorben.— Wer wird an die Wahrheit der Empfindung eines Heine glauben! Etwa so wenig ich an die eines E. von Hartmann glaube. Aber sie reproduciren mit einem ironischen Hange, in der Manier grosser Dichter und grosser Philosophen: wobei sie im Grunde eine satirische Richtung haben und ihre Zeitgenossen verspotten, die sich gerne etwas vorlügen lassen, in Philosophie und Lyrik, und daher mit ihren neugierigen Brillenaugen ernsthaft zusehen, um sofort die historische Rubrik zu finden, wo diese neuen Genie’s ihren Platz haben: Goethe und Heine, Schopenhauer und Hartmann! Es lebe der feine “historische” Sinn der Deutschen!